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  • AutorenbildRA Volker Himmen

Die Zukunft der Anwaltschaft – die Anwaltschaft der Zukunft


Chancen und Herausforderungen für die Anwaltschaft im Hinblick auf die Bedürfnisse und Erwartungen der nachfolgenden Generation

Seit mittlerweile mindestens drei Jahren befindet sich der Berufsstand der Anwaltschaft in Deutschland in Aufruhr, insbesondere aufgrund der Entwicklungen, die im Zusammenhang mit der (digitalen) Disruption des Marktes zu beobachten sind.

Hierzu wurde vieles gesagt und geschrieben, derzeit wird verbreitet die Frage danach gestellt, was nach dem Hype um Legaltech bleibt.

Ein Aspekt, der im ureigenen Interesse der Anwaltschaft liegt und der m.E. geradezu stiefmütterlich vernachlässigt wird, ist die Frage, wie die Anwaltschaft den Staffelstab an die kommende Generation weitergeben will.

Sei es im Rahmen der Rekrutierung von jungen KollegInnen für die eigene Kanzlei, sei es im Rahmen der Nachfolgeregelung, an der nächsten Generation wird die Anwaltschaft nicht vorbeikommen. Der Umstand, dass im Jahr 2030 ca. 50% der Anwaltschaft 50 Jahre oder älter sein wird, spricht hierbei für sich S. vhierzu z.B. “Der Rechtsdienstleistungsmarkt 2030”, eine Zukunftsstudie des DAV und der Prognos AG, 2013, S. 86 (https://anwaltverein.de/de/service/dav-zukunftsstudie?file=files/anwaltverein.de/downloads/service/DAV-Zukunftsstudie/DAV-Zukunftsstudie-Langversion.pdf (letzter Zugriff: 21.05.2018)) .

Die Anwaltschaft muss eine gemeinsame Basis mit der nächsten Generation finden. Hierzu müssen Anwälte verstehen und sich darauf einstellen, wie sich die nächste Generation von Juristen ihre zukünftige Tätigkeit vorstellt.

Um hierbei erfolgreich zu sein, steht die Anwaltschaft m.E. vor drei wesentlichen Herausforderungen:

  • Bedürfnisse der kommenden Generation erkennen und sich hierauf einstellen

  • Stärkere Beteiligung an der juristischen Ausbildung (am Beispiel Legal Tech)

  • Entwicklung eines eigenen Mindest

I. Bedürfnisse der kommenden Generation erkennen und sich hierauf einstellen:

Wie stellt sich die zukünftige Generation ihre juristische Tätigkeit überhaupt vor? Anders, als diese bisher traditionell ausgesehen hat. Neben einer ausgewogenen Work-Life-Balance, alternativen Arbeitszeit- und diversifizierten Beteiligungsmodellen steht die Arbeit in einem digitalisierten Umfeld an oberster Stelle der Prioritätenliste dieser Generation. Bereits 2011 wurde eine Veränderung in der Einstellung junger Juristen zu ihrer zukünftigen Tätigkeit festgestellt (S. http://www.spiegel.de/karriere/junge-juristen-auslaufmodell-autistischer-aktenfresser-a-752344.html (letzter Zugriff: 21.05.2018) sowie https://www.zeit.de/2013/11/Generation-Y-Arbeitswelt (letzter Zugriff: 21.5.2018)).

Eine Gruppierung dieser Interessen und eine Analyse der Art und Weise, wie große Kanzleien damit umgehen, wurde z.B. in der 2015 veröffentlichen Studie von Gerstner / Frehner, dargelegt (Luisa Gerstner & Martina Frehner, Die Generation Y – Herausforderung und Chance für Anwaltskanzleien, in: Beiträge zu aktuellen Themen an der Schnittstelle zwischen Recht und Betriebswirtschaft, Schriftenreihe Law & Management, Band 2, herausgegeben von der ES-HSG, Schulthess, 2015).

Es sind die Bedürfnisse nach Individualisierung, Optionierung und Enttraditionalisierung, die für die sog. Generation-Y bei der Auswahl ihres beruflichen Umfelds Bedeutung gewinnen (Gerstner / Frehner, a.a.O, S. 9).

Die Kanzleien, die sich an der Studie beteiligt haben, haben Strukturen geschaffen und Maßnahmen implementiert, mit denen versucht wird, diesen Bedürfnissen gerecht zu werden. Sie wollen in dem von Gerstner / Frehner bezeichneten „war for talents“ optimal auf die genannten Bedürfnisse eingehen (können). Im Anschluss an ihre Best-Practise-Analyse geben Gerstner / Frehner sodann eine Handlungsempfehlung zur Schaffung kategorisierter Maßnahmen aus, mit denen große Kanzleien sich für den „Kampf“ rüsten können.

Den kleinen und mittelständischen Kanzleien fehlt es in der Regel an den finanziellen und / oder personellen Ressourcen, um die innerbetrieblichen Strukturen zu schaffen oder Maßnahmen zu ergreifen, wie sie z.B. in der Handlungsempfehlung von Gerstner / Frehner enthalten sind.

Gleichwohl wäre es eine sträfliche Ignoranz, nicht zumindest zu versuchen, mit den vorhandenen Mitteln eine Infrastruktur zu kreieren, mittels derer es möglich ist, sich bedarfsgerecht für zukünftige Generationen aufzustellen. Es existieren nach meiner Auffassung sehr wohl Möglichkeiten, die kostengünstig umzusetzen sind und deren Realisierung eine hohe Attraktivität für die kommende Generation beinhaltet.

Denkbar sind diese für kleinere Einheiten m.E. in den folgenden Bereichen, wobei es hier nur darum gehen kann, exemplarisch Maßnahmen zu benennen (Ausführlich und differenzierend nach A-/B- und C-Maßnahmen s. Gerstner / Frehner, a.a.O. S. 21ff.):

  • Sozio-kulturell

Regelmäßige Pausen-, oder Stammtischgestaltungen, gemeinsame Durchführung von sportlichen Aktivitäten, die gemeinsame Teilnahme an kulturellen oder sportlichen Veranstaltungen sind nur einige Beispiele, die dazu beitragen können, den Arbeitsplatz als Bereicherung zu verstehen, nicht als bloße Pflichterfüllung. Derartige Maßnahmen können zudem einen „Teamspirit“ schaffen, der sich positiv auf die CI auswirkt oder eine solche überhaupt erst schafft. Gespräche über Job und Kanzlei dürfen bei solchen Veranstaltungen dann gerne auch mal tabu sein. Und letztlich ist es auch eine Frage der Häufigkeit, ob derartige Aktivitäten zum Erfolg führen oder als blanker Aktionismus verstanden werden.

  • Strukturell

Flache Hierarchien, Open-door-offices, Jour fix, konstruktive Streitkultur, Aspekte, die in struktureller Hinsicht zur Attraktivität des Arbeitsplatzes beitragen. Weiterhin ordne ich dieser Kategorie die Möglichkeiten einer flexiblen Arbeitszeitgestaltung sowie die Entwicklung individueller Karrieremodelle zu. Nun mögen diese Kriterien für viele wie Selbstverständlichkeiten klingen, ob sie tatsächlich als solche verstanden und auch umgesetzt werden, kann nur mittels kritischer Selbstreflexion oder ggf. einer neutralen Betrachtung von außen festgestellt werden. Beeinflusst wird dies vom Selbstverständnis der Inhaber und Partner, ihrer Bereitschaft, in neuen Strukturen zu denken und zu handeln sowie dabei junge Berufsträger in den Entscheidungsfindungsprozess mit einzubinden.

  • Fachlich

Dem Nachwuchs ausreichende Fortbildungsmöglichkeiten einräumen, zeitliche Freiräume hierfür schaffen, Möglichkeiten, die sich auch in kleineren Kanzleien eröffnen. Die Qualifizierung des Nachwuchses steigert die Qualität der Arbeit und somit die der Mandate. Nicht zuletzt auch die Reputation der eigenen Kanzlei und dies wiederum die Bindung der jungen Generation an diese. Praktika in befreundeten Kanzleien oder gar in Rechtsabteilungen von Unternehmen aus der eigenen Mandantschaft sind sicherlich eher ungewöhnliche Ansätze, können aber attraktive Angebote sein, aus denen sich ein wertvoller Input für die eigene Kanzlei ergibt.

II. Stärkere Beteiligung an der juristischen Ausbildung (am Beispiel Legal Tech):

Nun mag zwar in der Richterschaft weiterhin die Ansicht vertreten werden, dass sich an der juristischen Ausbildung nichts Wesentliches zu ändern habe, im Sinne der Anwaltschaft kann dies jedoch nicht sein (JUVE-Interview mit der scheidenden Präsidentin des OLG Düsseldorf Anne-José Paulsen vom 27.02.2018: https://www.juve.de/nachrichten/namenundnachrichten/2018/02/duesseldorfer-olg-praesidentin-junge-juristen-muessen-ihr-wissen-besser-vermitteln (letzter Zugriff: 21.05.2018)).

Auch, wenn die Vorbereitung auf die juristischen Staatsexamina noch immer der von vor 100 Jahren gleicht (S. https://www.juve.de/nachrichten/namenundnachrichten/2017/10/von-wegen-digital-fuers-examen-pauken-juristen-wie-vor-100-jahren (letzter Zugriff: 21.05.20018)), gibt es inzwischen sehr begrüßenswerte Initiativen, die universitäre Ausbildung der Juristen um die unverzichtbare, zukunftsorientierte Facette der Digitalisierung und unmittelbare praktische Bezüge zu ergänzen. Die Einführung von “Legal Tech” in den Curriculum sowie die Errichtung von “Legal Clinics” bzw. “Legal Tech Labs” an einzelnen Universitäten ist ein löblicher Anfang

(S. z.B. das Legaltech Center an der Europa-Universität Viadrina, Frankfurt / Oder: https://legaltech.center/ (letzter Zugriff: 21.05.2018) Vorlesungen zum Thema “Legal Tech” an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg i.Brsg. im SS 2018 und den von PD Dr. Martin Fries hierzu unterhaltenen Podcast: https://m.youtube.com/channel/UCC1h-eGZ2i7KjsZ8VtFUVHA/featured sowie die dort gegründete Legal Clinic: https://www.legalclinics.uni-freiburg.de/ (letzter Zugriff: 21.05.2018)Legaltech-Tagung an der ALU Freiburg: https://www.jura.uni-freiburg.de/de/institute/imi1/legal-tech-tagung/programm (letzter Zugriff: 21.5.2018)Legal Tech Lab an der Goethe-Universität Frankfurt/M: https://legaltechlab.de/ (letzter Zugriff: 21.05.2018)Legaltech Konferenz an der LMU München: https://www.legal-entrepreneurship.org/event/legal-tech-konferenz-an-der-lmu-muenchen/ (letzter Zugriff: 21.5.2018)Überblick von Florian Specht per 15.12.2017: https://legal-tech-news.com/legal-tech-an-die-unis-jetzt/ (letzter Zugriff: 21.5.2018) sowie Dirk Hartung in Hartung, Bues, Halbleib, Legaltech – Die Digitalisierung des Rechtsmarkts, C. H. Beck & Vahlen, 2018, Rn. 1028ff.).

Was die genannten Initiativen gemein haben, ist das Fehlen einer strukturierten anwaltlichen Beteiligung oder Unterstützung. Vereinzelt erfolgt dies durch Großkanzleien, wie z.B. die Legal Clinic in Freiburg durch Friedrich Graf von Westphalen, Linklaters und Freshfields Bruckhaus Deringer sowie das Legal Tech Lab in Frankfurt durch Clifford Chance.

Auch hier stellt sich erneut die Frage, ob und in welchem Umfang es kleinen und mittelständischen Kanzleien möglich ist, derartige Initiativen und Projekte zu unterstützen bzw. sich an ihnen zu beteiligen, wobei auch mit kleineren Beträgen eine sicherlich willkommene finanzielle Unterstützung solcher Initiativen erfolgen kann.

Denkbar wäre dies allerdings, sollte es an finanziellen Möglichkeiten mangeln, auch dadurch, dass den Studierenden ein Mentoring / Coaching seitens der regionalen Anwaltschaft angeboten wird. Hierdurch wird nicht nur frühzeitig ein Kontakt zu den angehenden Juristen hergestellt, sondern bei diesen zugleich bereits ein Bewusstsein für die Anwaltschaft im regionalen Umfeld geschaffen. Praktikumsstellen, studentische Nebenjobs, Referendariatsstellen und eine spätere Anstellung sind denkbare, vielleicht sogar logische Konsequenzen einer solchen Unterstützung.

Wünschenswert wäre es, wenn sich die örtlichen Anwaltvereine hierbei engagieren. Sie könnten als Interessenvertretung ihrer Mitglieder so einen sinnvollen Beitrag dazu leisten, den Austausch zwischen der Anwaltschaft sowie den Studierenden zu fördern und dabei eine organisierte Plattform bieten.

III. Entwicklung eines eigenen Mindset bzw. dessen Veränderung:

Eine Mehrheit von Kanzleien scheint nachwievor keine zwingende Notwendigkeit für Veränderungen zu sehen (So zumindest im US-amerikanischen Markt: „In 69% of law firms, partners resist more change efforts“ , s. Clay & Seeger, Law firms in transition, An Altman Weil Flash Survey, 2018).

Gleichwohl ist die Veränderung der anwaltlichen Tätigkeit, insbesondere durch deren Digitalisierung sowie der Digitalisierung des gesamten Rechtsdienstleistungsmarktes, nicht mehr aufzuhalten (S. Hartung, a.a.O., Rn. 1003ff.; Caba / Gansel in Breidenbach / Glatz, Rechtshandbuch Legal Tech, C.H. Beck 2018, Rn. 31 sowie Zukunftsstudie für die deutsche Anwaltschaft, s. Rn. 1).

Dirk Hartung stellt hierzu m.E. treffend fest, dass all diejenigen, dies sich nicht Vollzeit mit Informatik befassen, aufgrund der hohen Entwicklungsgeschwindigkeit in diesen Gebieten keine Chance haben, auf der Höhe der Zeit zu bleiben (D. Hartung, a.a.O., Rn. 1006).

Man muss hierbei gar nicht so weit gehen und die Frage stellen, ob es zukünftig, nicht zuletzt aufgrund von KI, Chatbots und anderen technischen Möglichkeiten, überhaupt noch einer anwaltlichen Dienstleistung bedarf (S. z.B. Bues in Legal Tech – Die Digitalisierung des Rechtsmarkts, C.H. Beck & Vahlen 2018, Rn. 1206, der i. Erg. Davon ausgeht, dass das Berufsbild des Anwalts nicht überflüssig werden wird.)?

Die Anwaltschaft muss aber gerüstet sein für diese Veränderungen, in erster Linie mental, intellektuell.

Was bedeutet dies im Hinblick auf die erfolgreiche Rekrutierung von geeignetem Nachwuchs?

  1. Wir Anwälte müssen uns aus der Komfortzone verabschieden, in der wir in den vergangenen Jahrzehnten ein Dasein unbekümmert im Hinblick auf gravierende Veränderungen unseres Berufsstandes oder des Rechtsdienstleistungsmarktes fristen konnten. Wir müssen uns auf die Erwartungen und Bedürfnisse der nachfolgenden Generation einlassen, stärker, als je zuvor. Der Beruf des Anwalts ist nicht (mehr) derartig attraktiv, dass die Rekrutierung geeigneten Nachwuchses quasi ein Selbstläufer ist.

  2. Hierzu bedarf es einer grundlegenden mentalen Neuorientierung. Wer diese nicht vollzieht, muss sich mit dem Gedanken auseinandersetzen, zu einer aussterbenden Spezies zu gehören, nicht, weil seine Arbeit durch KI ersetzt wird, sondern weil seine Kanzlei unattraktiv geworden ist für Nachfolger.

  3. Jeder Inhaber, Partner oder Entscheidungsträger der sich nicht imstande fühlt, sich und seiner Kanzlei einen so gravierenden Wandel abzuverlangen möge verinnerlichen, dass es sich hierbei um Leitungsprozesse handelt, die der Bedeutung des operativen Geschäfts in nichts nachstehen (dürfen).

Die Zukunft der Anwaltschaft entscheidet sich somit heute und jetzt in den Köpfen ihrer Protagonisten. Nur, wenn sich hier ein erfolgreicher Wandel vollzieht, entwickelt sich hieraus eine Anwaltschaft der Zukunft.

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